Mit der transdisziplinären Seminarveranstaltung „Lernfabrik 4.X“ beschreiten drei benachbarte Hochschulen neue Wege in der Hochschuldidaktik

Im WS 2014/15 wurde eine neue Lehrveranstaltung mit innovativem Konzept angeboten. Den Produktenwicklungsprozess erleben, von der Idee bis zur CAM-Planung.

Die „Lernfabrik 4.X“ ist eine Forschungs- und Bildungsplattform, die im Februar 2014 am Institute of Materials and Processes (IMP) an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Haas, gegründet wurde und gemeinsam mit dem Institut für Informationsmanagement (IMI) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe weiterentwickelt wird. Dabei ist die Forschung eng mit den Bildungsangeboten verzahnt und trägt entscheidend zu deren Entwicklung bei.

 

Im Rahmen der Lernfabrik 4.X fand erstmalig im Wintersemester 2014/15 eine Lehrveranstaltung unter Beteiligung der Fakultäten Maschinenbau und Mechatronik (MMT) und Wirtschaftswissenschaften (W) der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft (HSKa), dem Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen (IMI) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und dem Fachbereich Technisch Bildung der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PH) statt.

 

Innerhalb der Lehrveranstaltung wurden transdisziplinäre Fragestellungen und Problemfelder des Produktentwicklungs- und -entstehungsprozesses bearbeitet, wodurch den Studierenden ein Einblick in und das Erleben der komplexen Zusammenhänge dieser Prozesse ermöglicht wurde. Die Studierenden erhielten die Aufgabe, ein profitabel vermarktbares Produkt zu entwickeln. In transdisziplinären Gruppen wurde gemeinsam sowohl über die Auswahl der Produkte als auch über die Gestaltung des Entwicklungs- und Fertigungsprozesses entschieden. Dabei mussten technikwissenschaftliche und betriebswirtschaftliche Aspekte ebenso berücksichtigt werden, wie die Fragen der Kommunikation und Organisation.

 

Es ist die gemeinsame Aufgabe der Lehrenden und Studierenden, die Lerninhalte in theoretische Aspekte einzubetten und die Verknüpfung zwischen Theorie, Wissenschaft und Praxis zu schaffen. Während der Projektdurchführung fand eine intensive Betreuung der Lerngruppen seitens der beteiligten Lehrenden der jeweiligen Fakultäten statt. Jeder der Studierenden entwickelte im Rahmen der Projektarbeit eine seinem Fachgebiet zugeordnete Fragestellung und wendete zur Bearbeitung der Fragestellung die fachspezifischen Methoden seiner Disziplin an. So ergeben sich im Rahmen der zu bearbeitenden Gesamtaufgabe transdisziplinäre Aspekte, welche zugleich die Besonderheiten der jeweiligen Fachdisziplin veranschaulichen und eine praxisnahe Lehre Realität werden lassen.

 

Die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der HSKa, vertreten durch Prof. Dr. Birgit Ester und Prof. André Wölfle, steuerte insbesondere die Themen der Marktanalyse, des Vermarktungskonzeptes, der Projektsteuerung sowie der begleitenden Produktkalkulation bei. Dabei gelang eine besondere Sensibilisierung der Studierenden hinsichtlich der gegenseitigen Beeinflussung dieser Themenfelder. Die Studierenden erarbeiteten über Brainstormings und die Befragung potentieller Kunden verschiedene Vorschläge zur Gestaltung des Produktes (Trinkbecher) und prüften das Vermarktungspotential. Die entstandenen Entwürfe mussten im weiteren Verlauf des Projektes noch an die technischen Produktionsmöglichkeiten angepasst werden. Die Projektplanung für die jeweiligen Teams und die Steuerung der Teamaktivitäten ermöglichten die termingerechte Erarbeitung der Projektergebnisse. Die dazugehörige Erfassung der Arbeitszeiten im Projekt zeigte, dass ein großer Teil der Projektarbeitszeit für Abstimmungs- und Koordinationsaktivitäten benötigt wurde. Die Kalkulation der Herstellkosten für die geplanten Produktvarianten erwies sich als sehr aufwendig und anspruchsvoll, da viele Daten (wie etwa die Maschinen- und Werkzeugkosten) erarbeitet werden mussten. Die Ergebnisse der Kalkulationen führten im Projekt temporär zu der Frage, ob die geplanten Bechervarianten nicht preiswerter einzukaufen seien statt selbst zu produzieren.

 

Die Aufgabe der Studierenden der Fakultät Maschinenbau und Mechatronik, vertreten durch Prof. Dr.-Ing. Haas, war die Konstruktion des Produktes sowie des entsprechenden Werkzeugs zur Herstellung des Produktes. Da die Studierenden als kleines Unternehmen fungieren, sollen die Maschinen im IMP für die Produktion eingesetzt werden. Für die Herstellung des Produktes selbst war die Verwendung der Kunststoff-Spritzgießmaschine vorgesehen. Deshalb mussten sich die Studierenden Informationen über die Maschinen und auch über den Spritzgieß-Prozess selbst beschaffen und sich in die Thematik einarbeiten. Fachliche Unterstützung erhielten sie von Prof. Dr.-Ing. Pöhler. Innerhalb der Gruppen waren die Studierenden dafür zuständig, die vorgeschlagenen Entwürfe hinsichtlich Fertigbarkeit, Rahmenbedingung der Maschine und Aufwendigkeit zu bewerten. Diese Abstimmung nahm einen Großteil der Zeit in Anspruch, bis dann mit der Konstruktion des Werkzeugs begonnen werden konnte. Diese Aufgabe war sehr aufwendig, da das Werkzeug auf viele Aspekte wie Materialeigenschaften, Maschinen- und Prozessparameter abgestimmt und gleichzeitig in Bezug auf Kosten und Zykluszeit optimiert werden musste. Intensiv betreut wurden die Studierenden von der studentischen Hilfskraft Frau Janis Luisa Heitzmann, die ihnen in Fragen der Konstruktion und Fertigung zur Verfügung stand.

 

Unter der Leitung des Herrn Dipl. Phys. Viktor Häfner  wurden die Studierenden in die virtuelle Validierung der Produktentwicklung eingeführt. In einem umfassenden Rundumschlag werden Themen wie 3D Modellierung, imersive verteilte Visualisierung und Interaktion sowie das Erstellen von interaktiven virtuellen Welten angeschnitten.

Interdisziplinäre Schnittstellen mit den Konstrukteuren und Wirtschaftsstudenten sind die Grundlage,  um die Projektergebnisse zu virtualisieren und in einer virtuellen Umgebung zu präsentieren. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung könnten die Besucher Produkte erleben, ohne das physische Prototypen angefertigt werden mussten.

 

Die Studierenden des Fachbereichs Technische Bildung der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe beobachteten analytisch den Produktentwicklungsprozess, wobei sie insbesondere die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren fokussierten. Als besonders interessant erwies sich der Ablauf der Einigungsprozesse - angesichts der sich zum Teil konkurrierender Interessen. Betreut wurden sie von Melanie Thüsing und Dr. Maja Jeretin-Kopf.

 

Am 14.01.2015 fand am Institut für Informationsmanagement im Ingenieurwesen eine Abschlussveranstaltung statt, an der die Studierenden die Aufgabenfelder der jeweiligen Gruppe und ihre Ergebnisse präsentierten.

Alle beteiligten sind sich einig: auch wenn Anfangsschwierigkeiten zu meistern waren, die Veranstaltung erwies sich für die Studierenden als gewinnbringend, da sie einerseits die selbständige Erarbeitung der Inhalte förderte und zugleich den Studierenden die Gelegenheit bot, über den „Tellerrand“ zu schauen und Einblicke in die Problemfelder anderer Disziplinen zu erhalten.

Ein ganz besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr.-Ing. Frank Pöhler, Herrn Prof. Dr.- Ing. Griesbaum und Herrn Tobias Knipping M. Sc. für die tatkräftige Unterstützung der Studierenden bei der Fertigung der Prototypen und technischen Fragen im Zusammenhang mit der Spritzgussmaschine.

 

 

Die nächste hochschulübergreifende Lehrveranstaltung „Lernfabrik 4.X“ ist für das Sommersemerster 2015 geplant. 

Autoren: Birgit Ester, Rüdiger Haas, Viktor Häfner, Janis Luisa Heitzmann, Maja Jeretin-Kopf, André Wölfle